Die Ruta 0.4.0

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Ein wahrgewordener Traum



Der direkte Weg vom Meer bis zum Himmel

 
Als direkter Weg vom Meer bis zum Himmel wird die Ruta 0.4.0 in den Medien des SPET Turismo de Tenerife, des Tourismusverbandes von Teneriffa, angepriesen. Aber gleich danach heißt es: „Eine in Europa einzigartige, vertikale Herausforderung“. Die beiden letzten Worte sollten gebührend beachtet werden, sonst kann aus der Tour auf dem „Weg zum Himmel“ sehr schnell ein Himmelfahrtskommando oder ein Höllentripp werden. Eine Tortur ist sie sowieso.
 
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Teneriffa im April
 
Warum? Nun die Ruta 0.4.0 ist eine (nur) 27,6km lange Wanderstrecke, die vom El Socorro bis auf den Pico del Teide führt. Bei letzterem, das dürfte bekannt sein, handelt es sich um einen, nein den Berg auf Teneriffa. Dass der Teide mit 3.715m der höchste Berg in Spanien ist, wird schon nicht mehr so geläufig sein (meist werden sogar noch 3.718m angegeben, dass soll aber nach neueren Messungen falsch sein). Doch was ist „El Socorro“? Vollständig müsste es heißen: „Playa del Socorro“ und damit wird klar: El Socorro ist ein Strand. Er ist attraktiv für Schwimmer und Surfer. An der Nordküste Teneriffas mag es aber für diese Sport(s)freunde vielleicht spektakulärere Strände geben. Doch für ambitionierte Wanderer ist El Socorro einzigartig. Denn hier beginnt ein Weg, der seinesgleichen sucht. Laut SPET: „geht mit der Ruta 0.4.0 ein Traum in Erfüllung. An einem einzigen Tag kann man eine Strecke zurücklegen, die von der Meeresküste bis auf den Koloss Teide führt, der fast viertausend Meter hoch ist.“ 
 
Man findet anstelle der 0.4.0 oft die Bezeichnung PR-TF41. Davon darf man sich nicht verwirren lassen. Es ist ein Weg mit zwei Bezeichnungen. In Spanien heißen die Wanderwege mit einer Länge zwischen 10 und 50 km Senderos de Pequeño Recorrido, abgekürzt PR (Wegmarkierung gelb-weiß), TF steht für Teneriffa. „Ruta 0.4.0“ ist eine besondere Bezeichnung für diesen besonderen Weg, wohl in erster Linie aus Gründen der Vermarktung. Der Weg ist mit beiden Zeichen markiert.
 
 
Über Teneriffa
 
Wenn man die speziellen Anforderungen der Ruta 0.4.0 verdeutlichen will, muss man über die Insel Teneriffa schreiben, über ihre Entstehung, die Topografie und die Lage. Denn diese bedingen die Besonderheiten der 0.4.0.
 
Teneriffa ist eine Vulkaninsel, deren Fuß mehr als 3.700m unter dem Meeresspiegel liegt. Vom Meeresboden aus gemessen ist der Teide mit ca. 7.500m, der dritthöchste Berg der Welt (nach dieser Betrachtungsweise, laut Wikipedia). Der vulkanische Ursprung ist für eine für Wanderer relevante Eigenschaft verantwortlich. Gleich ab der Küste wird es steil, besonders auf der Nordseite. Vor etwa 8 Millionen Jahren wuchsen die Vulkane Teno, Anaga und Adeje (benannt nach den beiden Gebirgszügen im Nordwesten und Nordosten sowie nach der Stadt im Süden von Teneriffa) in die Höhe und schließlich zusammen. In der Mitte dieses Dreiecks entstand vor 4 Millionen Jahren ein gigantischer Vulkan, der deutlich über 1.000m höher gewesen sein dürfte als es der Teide heute ist. Wie der Kolos zerbrach, ob mit oder ohne eine gewaltige Explosion, ist unklar. Geologen vermuten, dass der Rand der Caldera südlich des Teide (das „Amphitheater“) der Rest einer Trümmerlawine ist, die nach Norden ins Meer rutschte und dass das unterseeische Plateau nördlich von Teneriffa aus Material dieses gigantischen Abrutsches besteht. (siehe: de.wikipedia.org/wiki/Teide).
 
Was übrig blieb, nachdem der Berg ins Meer abgerutscht war, kann man heute noch sehr schön sehen. Auf der Falllinie vom Gipfel nach Norden bis zur Küste befindet sich eine steile Rampe: in der Ebene gemessen ca. 13,5km, also mit einer durchschnittlichen Steigung von ca. 27%. Die steilsten, teils senkrechten Abschnitte liegen an der Küste und vor dem Gipfel. Aber immerhin haben die Wegeplaner die Ruta 0.4.0 auf 27,6km gestreckt. Bedingt durch einiges Auf und Ab kommen jedoch nochmal ca. 150 Höhenmeter hinzu. Es gibt durchaus längere flache Abschnitte oder Steigungen mit weniger als 10%. Auf den verbleibenden 15km darf man also getrost mit 3.000 Höhenmeter rechnen. Was einer durchschnittlichen Steigung von etwa 20% entspricht.
 
Die Lage der Insel am 28. nördlichen Breitengrad verspricht zunächst einmal hohe Temperaturen, die aber durch den Atlantik etwas abgemildert werden. Das Klima ist eines der wärmsten in Europa (Kunststück, denn die Kanaren gehören topografisch zu Afrika). Die Touristikbranche bewirbt die Kanaren als Inseln des ewigen Frühlings. Das stimmt nicht so ganz, denn im Jahresverlauf ändern sich Temperaturen und Niederschläge durchaus. Aufgrund der Höhe gibt es auf der Insel viele verschiedene Klimastufen. An den Küsten liegen die Tagestemperaturen in den Sommermonaten bei 26 bis 32°C, im Winter zwischen 22 bis 25ºC. Im Süden ist es trockener und wärmer (oft 5 bis 10°C) als im Norden. Im Süden, wo nur etwa 1/4 der Niederschläge fallen, ist die Vegetation entsprechend fast wüstenartig. Der Norden ist insgesamt viel grüner, aber dort gibt es höhenabhängig starke Unterschiede der Flora. Das hängt mit den Passatwinden und den Bergen zusammen. Die Passatwinde drücken die Luft an die Berge im Norden, sie muss aufsteigen, kühlt dabei ab und so bilden sich Wolken. Das ist meist im Tagesverlauf der Fall, nachts schiebt der ablandige Wind die Wolken aufs Meer und der Himmel ist meist klar. Durch die Bewölkung kommt es in höheren Lagen zum so genannten Nebelniederschlag, im Sommer in ca. 1.200 m Höhe, im Winter in ca. 1.700 m. Ober- und unterhalb dieser Wolken ist die Luft trocken. 
 
Die Feuchtigkeit des Nordens bildet praktisch die Lebensgrundlage für die gesamte Insel. Nebelniederschlag, Regen und Schnee (im Winter auf dem Gipfel des Teide) werden zu immerhin etwa 20% aufgefangen. Dazu hat man horizontale Tunnel in die Berge gesprengt, die galerías. Es gibt ca. 1.000 galerías, die meist in Höhen von +/-1.500m liegen und eine Gesamtlänge von ca. 2.000km aufweisen. Sie liefern mehr als 75% des auf Teneriffa verbrauchten Wassers. Das Wasser wird über (teils sehr lange) hangparallele Kanäle (canales), die heute meist abgedeckt sind, und Rohre verteilt. 
 
Der Wasserverbrauch ist etwa so: Jeder Tinerfeño verbraucht pro Tag 200L (hierin ist die von der Industrie benötigte Menge eingeschlossen), ein Tourist „schafft“ 380L (wenn man die Mengen für die Bewässerung von Anlagen, Golfplätzen, Wäschereien, Gewerbebetriebe im Tourismusbereich einbezieht, sind es 600L). Für einen Golfplatz werden ca. 1.000.000L pro Jahr benötigt. Die 9 Golfplätze Teneriffas verbrauchen so etwa 4% der Gesamtwassermenge. Für die Erzeugung von 1kg Bananen werden 500L Wasser verbraucht. (Die Zahlen stammen aus verschiedenen Quellen, im Detail wird man andere Angaben finden, aber die Größenordnungen dürften stimmen).
 
Die Lage der Insel am 16. westlichen Längengrad, die Zeitzone und die Nähe zum Äquator sind verantwortlich für andere Hell- und Dunkelphasen als bei uns. Wenn man eine lange Wanderung plant, tut man gut daran, sich über die genauen Zeiten des Sonnenauf- und -untergangs (SA-SU) und die morgendliche und abendliche Dämmerung zu informieren. Beispiele: zur Sommersonnenwende sind die Tage deutlich kürzer als bei uns (nämlich SA-SU ca. 14 Stunden plus Dämmerungen ca. 2 Stunden, also max. 16 Stunden Helligkeit (ca. 19:30h bei uns), zur Wintersonnenwende deutlich länger (max. 12:20h, 10:30h bei uns), bei Frühlings- bzw. Herbstbeginn gibt es kaum Unterschiede (etwa 14:00h).
 
Ruta 0.4.0 Werbung und Kritik
 
Anlässlich der Eröffnung der Ruta 0.4.0. bezeichnet das SPET in seiner Pressemittteilung von 21.10.2020 diese als „ikonische Route“ und als „die anspruchsvollste Wanderstrecke Spaniens“.
 
Weiter heißt es dort: „Die Herausforderung der anspruchsvollsten Route Spaniens liegt im Höhenunterschied von fast 4.000 Metern, der sogar an einem einzigen Tag bewältigt werden kann. Dieser macht sie zu einer Ikone auf nationaler Ebene und zu einer der schwierigsten und gleichzeitig attraktivsten Strecken Europas. Die Besonderheit der Route liegt darin, dass sie auf Meereshöhe am Strand von El Socorro beginnt“ [und] „bis auf den mit 3.718 Metern höchsten Berg Spaniens führt, den Pico del Teide“.

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Hinweistafel am Playa El Socorro
 
Daran ist nichts auszusetzen. Im weiteren Verlauf der Pressemittteilung sind leider schon Ungenauigkeiten enthalten, die sich auch auf der Webseite des SPET (www.webtenerife.de/aktivitaten/natur/wandern/wanderwege/route-040.htm) wiederfinden und auf diversen anderen Seiten wiederholt werden. Ich möchte versuchen, einiges davon richtiger und verständlicher darzustellen. Vor allem, weil ich denke, es bei einer solch schwierigen Route besser ist zu warnen, als Schwierigkeiten und Gefahren zu verschweigen. Außerdem ist es ärgerlich, sein Ziel zu verfehlen, nur weil man schlecht informiert wurde.
 
Zur Verpflegung:
„Die Flüssigkeitszufuhr ist lebensnotwendig. Deshalb haben wir Wasser auf dem Parcours bereitgestellt, damit Sie nicht so viel davon mitnehmen müssen. In der Hütte finden Sie einen Verkaufsautomaten, der nur mit Münzen funktioniert. Sie sollten sich vor Beginn der Tour vergewissern, dass die Hütte nicht vorübergehend aus irgendeinem Grund geschlossen ist (z. B. ist sie jetzt wegen Covid-19 geschlossen). Informieren Sie sich dazu unter dem folgenden Link…“
Und weiter: 
„Es stehen Wasserautomaten an der oberen Station der Seilbahn des Teide für Sie bereit. Denken Sie daran, Münzen mitzunehmen, wenn Sie sie betätigen wollen. Auf jeden Fall sollten Sie berücksichtigen, dass die Wasserflaschen je nach Nachfrage auch ausverkauft sein können. Diese Station ist nur während der Öffnungszeiten der Seilbahn von 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr geöffnet.“
Der erste Satz stimmt natürlich. Je nach Wetter und Startzeit kann man allein für den Aufstieg sicherheitshalber mit einem Flüssigkeitsbedarf von 7 Litern pro Kopf rechnen. Es gibt auf der gesamten Strecke bis zur Hütte Alta Vista keine einzige Einkehrmöglichkeit. Bei unter 800m verlässt man bewohntes Gebiet! Brunnen und Bäche gibt es nicht! Wenn die Hütte (z.B. wegen Covid) geschlossen sein sollte, ist nicht einmal der Getränkeautomat zugänglich. Und Achtung: die Hütte liegt auf 3.267m, wenn man dort ist, hat man schon fast 90% der Höhenmeter geschafft. Die Gefahr dort oben schon total dehydriert anzukommen, ist sehr groß, wenn man nicht vorsorgt. Für die Bergstation der Seilbahn gilt das erst recht, denn hier hat man schon mehr als 95% des Aufstiegs hinter sich. Zudem sind die Öffnungszeiten falsch, sie wechseln innerhalb des Jahres. Achtung: die Seilbahn verkehrt oft nicht, z.B. wenn es zu windig ist.
 
„Berechnen Sie Ihren Kalorienverbrauch und nehmen Sie genug Nahrungsmittel mit, um wieder zu Kräften zu kommen. Das ist ebenso entscheidend, um das Ziel unter den bestmöglichen Bedingungen zu erreichen.“
Das sind schon wichtige Hinweise. „…nehmen Sie genug Nahrungsmittel mit..“ müsste aber dick unterstrichen werden. Bei meinem Gewicht von 77kg (plus leichtes Gepäck) und einer Größe von 1,84m bin ich von einem Energieverbrauch von 4.500kcal allein für den Aufstieg ausgegangen. Dazu kommen der Grundumsatz und der Verbrauch für den Abstieg. Somit sind für die Tour rauf und runter (je nach Endpunkt) 7.000 bis 8.000kcal anzusetzen, für schwerere Wanderer entsprechend mehr. Im Köper verfügbare Kohlenhydrate und eine gute (weil trainierte) Fettverbrennung dürften etwa die Hälfte des Kalorienbedarfs decken. Hochleistungssportler kommen auf höhere Anteile, schlecht Trainierte auf niedrigere.
 
Nur in einer Aufzählung wird eher beiläufig hingewiesen:
„Nahrungsergänzungsmittel (Salze, Vitamine usw.)“
Nachdem der Körper 7 Liter Flüs sigkeit verloren (und hoffentlich ersetzt bekommen) hat, ist die Zufuhr von Elektrolyten ebenso wichtig wie die Zufuhr von Kalorien. Vitamine schaden während der Wanderung natürlich nicht. Aber bei ansonsten vernünftiger Ernährung, sind sie für den einen Tag verzichtbar. Doch der Körper verliert mit dem Schweiß eine Menge Elektrolyte. Insbesondere das Natrium muss ersetzt werden. Das ist nach meiner Erfahrung ein ganz entscheidender Punkt. Ich habe mit Schwedentabletten gute Erfahrungen gemacht. Aber zu diesem komplexen Thema sollte man seine eigenen Erfahrungen gemacht haben.
 
„Berücksichtigen Sie, dass im Nationalpark des Teide im Mai und im Oktober montags, mittwochs und freitags von 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr die Jagd erlaubt ist. Zu diesen Terminen können Sie sich nicht auf die Route begeben.“
Das kann man so stehen lassen. Für die beiden betreffenden Monaten ist das sehr wichtig.
 
Zur Genehmigung für den Gipfel:
„[…] den kurvenreichen Aufstieg zur La Rambleta (3.555m) nehmen. Bis hierhin können Sie ohne Genehmigung laufen, aber für die letzten 630 Meter bis zur Bergspitze des Teide brauchen Sie eine Erlaubnis, die Sie vorher auf der Website www.reservasparquesnacionales.es
beantragen können.“
Das ist sehr wichtig! Aber ein Wanderer, der sich am Teide nicht auskennt, überliest so einen Hinweis gern, weil es eigentlich unlogisch ist. Man geht 3.555m hoch, um dann nicht mehr weiter zu dürfen? Ja, genau! Eine Ergänzung wie die folgende würde die Sache abrunden: „Wenn Sie die Erlaubnis nicht haben und an der Rambleta ankommen, während die Seilbahn verkehrt, kommen Sie am Tor nicht weiter!“ Das liest sich zwar nicht nett, entspricht aber genau den Tatsachen.
 
Ziemlich beiläufig heißt es irgendwo auf der Seite dann noch:
„Genehmigung erforderlich: Ja, ab La Rambleta für den Zugang zum Wanderweg Nummer 10 Telesforo Bravo bis zum Pico del Teide.“
Hola und Olé! Das ist nun völlig unverständlich: Rambleta? Zugang zum Wanderweg Nummer 10? Telesforo Bravo? Das reicht für einige Verwirrt-Smilies! Die Bedeutung muss man an anderer Stelle (z.B. Tourenberichte) ergründen. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole (es ist wichtig): Es gibt nur einen Weg zum Gipfel. Der führt an der Bergstation der Seilbahn (La Rambleta genannt auf 3.555m) vorbei. Der Weg ist durch ein Tor abgesperrt, das Tor ist bewacht. Das gilt immer, wenn die Seilbahn fährt (siehe oben). Ohne Erlaubnis (permiso) darf man nicht durch das Tor zum Gipfel. 
 
Man kann die Erlaubnis zwar einfach online für ca. 30,- € buchen, aber man muss einen Vorlauf von etwa drei (!) Monaten einplanen. Theoretisch könnte man sie auch bei privaten Veranstaltern bekommen, allerdings viel teurer (unverschämt viel teurer) und nur in einem ansonsten nutzlosen Arrangement. Ich habe den Eindruck, dass die privaten Veranstalter einen Großteil der permisos aufkaufen und nur ein kleiner Teil davon genutzt wird. Bei den geforderten Preisaufschlägen reicht dieser kleine Teil offenbar schon aus, um gutes Geld zu verdienen. Die Erlaubnis gilt übrigens nur für ein Zeitfenster von 2 Stunden. Sie verfällt, wenn man sie nicht genau in dem gebuchten Zeitfenster nutzt.
 
Nachdem wir Anfang Juli keine Zugangserlaubnis mehr bekommen hatten, hatte ich natürlich noch versucht, mit einer höflichen Anfrage und dem Hinweis auf unser Vorhaben, von der Verwaltung des Nationalparks doch noch eine Genehmigung zu erhalten. Die Art der Absage lässt mich zweifeln, ob die Ziele des Parque Nacional del Teide mit denen der SPET übereinstimmen oder ob die Ziele der jeweils anderen Seite bekannt sind.
 
Warum muss man überhaupt eine Genehmigung haben? Das hat tatsächlich einen guten Grund. Der Teidegipfel bietet tatsächlich nur wenig Platz. Da die Seilbahn jeden Tag etwa 2.000 Personen bis zur La Rambleta befördern kann und stets auch noch etliche Wanderer von Las Cañadas aufsteigen (und vielleicht noch ein paar von weiter unten), würde es auf dem Gipfel zu einem gefährlichen Gedränge kommen. Je nachdem wo man abstürzt, ist der Tod gewiss. Also lässt man vernünftigerweise zwischen 9:00 und 19:00 nur maximal 200 Personen bis zum Gipfel, innerhalb der 5 zweistündigen Fenster also jeweils maximal 40 Personen. Von den täglich 200 Genehmigungen sind stets 40 für ausgewiesene Führer reserviert und die übrigen 160 für Privatpersonen. Rechnerisch sind es jährlich (maximal) 73.000 Personen / 58.400 Privatpersonen, die den Gipfel erreichen können. Laut Angeben der Nationalparkverwaltung haben 2019 70.696 Personen den Pico del Teide besucht. Gemeint ist wohl eher: „haben eine Erlaubnis gekauft“, denn die Seilbahn fährt oft nicht, weil es zu windig ist (oder aus anderen Gründen). Die Zahl derjenigen, die ohne Erlaubnis zum Gipfel kommen, kann man nicht feststellen. Wenn die Seilbahn nicht fährt, ist das Tor übrigens offen und nicht bewacht.
 
Für einen unvorbereiteten Wanderer, der nach einem Aufstieg auf 3.555m nur noch 160 Höhenmeter und 630m vor dem Gipfel umkehren muss, ist die Enttäuschung sicher groß. Eine bessere entsprechende Information auf den offiziellen Webseiten und Prospekten wäre wirklich wünschenswert.
 
Dauer der Wanderung:
Dazu werden unlogische Angeben gemacht:
„Es handelt sich um eine Rundstrecke: 27,7 km bergauf, insgesamt 56 km. Ideal zum Wandern in ca. 12 Stunden als auch zum Laufen in etwa 4-6 Stunden.“
 
Eine Rundstrecke ist es eigentlich nicht, sie führt auf dem gleichen Weg runter wie rauf. Geschenkt! 27,6 / 27,7 / 27,8 x2 = 54? Erst recht geschenkt.
 
Aber worauf beziehen sich die Zeitangaben? Rauf? Rauf und runter? 
 
Der Trailrunning-Rekord liegt bei etwa 6 Stunden, rauf und runter! Rekorde schaffen nur Spitzenathleten. Also ist davon auszugehen, dass mit „4-6 Stunden“ nur das Rauf gemeint sein kann. Aber wenn jemand in 4 Stunden hochrennen kann, bewegt er sich schon im Dunstkreis der Spitzenkönner. Ich bin kein Trailrunner, aber ich denke: Wer rauf und runter in 10 Stunden läuft, hat sicher eine großartige Leistung vollbracht. 
 
Die ca. 12 Stunden für Wanderer kann sich logischerweise nur auf das Rauf beziehen, Spitzenkönner bzw. Extrembergsteiger mal ausgenommen. Wer es rauf und runter in 12h schaffen will, darf nur 7 für den Aufstieg und nur 5 Stunden für den Abstieg ansetzen. Das sind das ca. 530Hm/h rauf und 740Hm/h runter, ohne Pausen. Eventuelle Pausen muss man „rauswandern“ und muss auf den relativ flachen Stellen auch die +/- Hm/h beibehalten. 
 
Ausrüstung:
„Front- und Schlusslicht, beide vollgeladen“
Front- und Schlusslicht? Damit ist wohl eine Stirnlampe gemeint. Die ist allerdings unverzichtbar, denn ein Wanderer schafft es rauf und runter nicht im Hellen.
 
Schwierigkeiten und Gefahren:
Die Autoren der Webseite für die Ruta 0.4.0 des SPET kennen die Schwierigkeiten möglicherweise nur vom Hörensagen. Oder sie wollen niemanden abschrecken? Aber das kann gefährlich werden. Nicht weil die Strecke bergsteigerisch anspruchsvoll ist. Jede Passage ist für sich gesehen gut zu wandern. Es gibt nur eine (besonders im Dunklen) schwierige Stelle. Aber knapp 4.000 Höhenmeter hinauf müssen auch erst einmal bewältigt werden. Die Anstrengung ist mit einem schnellen 100km-Marsch zu vergleichen (mit „schnell“ meine ich: in maximal16 bis 17 Stunden). Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Die Gefahren, die sich aus einer mangelhaften Verpflegung ergeben können, sind nicht zu unterschätzen. Bei einem organisierten 100er gibt es je nach Veranstaltung alle 10-20km eine Verpflegungsstelle. Man muss deshalb nicht so viel Gewicht tragen, bekommt Nahrung und Getränke (und Salz, wenn man Glück hat). Man kann fast überall aufhören (und schlimmstenfalls ein Taxi rufen), wenn man sich überschätzt hat. Das ist auf der 0.4.0 ganz anders!
 
Auf die Bedeutung der Höhe wird zu wenig hingewiesen. 3.700m sind kein Pappenstiel. Man bewegt sich auf der Höhe von hohen Alpengipfeln. Deutschlands höchster Berg, die Zugspitze, ist mit 2.962m viel niedriger. In Österreich sind nur der Großglockner (3.798m) und die Wildspitze (3.768m) etwas höher als der Teide. Nun ja, in der Schweiz, Frankreich und Italien gibt es ja doch schon so einige…(wer damit Erfahrungen hat, darf beruhigt sein). Auch Guttrainierte, die hohe Anstrengungen im Flachland oder in Höhen um 2.000m leicht verkraften, können bei deutlich über 3.000m Probleme bekommen. Man sollte vor der 0.4.0 schon Erfahrungen mit der Höhe gemacht haben. Auch in dieser Beziehung wäre mehr Warnung angebracht.
 
Auf der Webseite ist leider kein Hinweis darauf zu finden, dass eine gleichmäßige Belastung die wesentliche Voraussetzung für den Erfolg ist (jedenfalls nach meiner Meinung). In der Region unter 2.000m kann man (natürlich!) mehr Höhenmeter pro Zeit ansetzen als jenseits der 3.000m. Ich halte es für entscheidend, das Tempo höhenabhängig zu planen, es zu kontrollieren und sich gegebenenfalls zurückzunehmen. Man kann anfangs (und auch nach Stunden noch) immer noch ein wenig „draufpacken“. Das nützt aber nichts, wenn man kurz vor dem Ziel schon am Ende ist.
 
 
Unsere 0.4.0 – Die Vorbereitung
 
Bei unserem Urlaub im Februar 2020 hatten meine Frau und ich zufällig ein Hinweisschild an der Strecke, die damals noch gar nicht offiziell eingeweiht war, entdeckt. „Das wäre doch was! 3.715 Höhenmeter am Stück!“ Aber meine Frau winkte gleich ab. Wir hätten doch schon in 2016 gemeinsam den Teide vom Meer ausgehend bestiegen. Als Vorbereitung unseres geplanten Kilimanjaro-Aufstiegs waren wir vom Playa Goyuyo in 3 Etappen bis zum Refugio Alta Vista (3.267m) aufgestiegen, am vierten Tag zum Sonnenaufgang bis zum Gipfel (3.715m) und dann zurück zum El Portillo (2.030m) gegangen. Die Strecke hatten wir mangels besserer Alternativen selbst zusammengebastelt. Daher war sie suboptimal, etwa 41km lang und wies über 4.300 Höhenmeter auf. Da es im unteren Bereich keine Wanderwege gab, war sie dort natürlich nicht markiert. Trotzdem war es ein ganz tolles Erlebnis.
 
Aber nun gab es ja die eine durchgehende „Strecke, die man an einem einzigen Tag zurücklegen kann und die perfekt beschildert ist“. So wird sie angepriesen. Joooh, das stimmt eigentlich, aber mit Einschränkungen. Ich kann jetzt bestätigen: sie ist durchgehend, perfekt beschildert, aber nicht überall gut markiert (darauf komme darauf weiter unten zurück!) und an einem Tag kann man sie tatsächlich auch zurücklegen. Sportliche Herausforderungen dieser Art, bei denen man nicht klettern muss, sind auch genau das Richtige für…? Nach kurzem Nachdenken blieb nur mein Wanderspezi Andreas übrig. „Der ist verrückt genug, um bei sowas mitzumachen. Und fit ist er auch“, dachte ich mir. Bei unserem wöchentlichen Walking habe ich ihm die Idee vorgestellt. Es war keine große Überzeugungsarbeit nötig. Andreas war gleich begeistert. Jetzt hieß es nur noch, einen Termin finden. Die Atempause im Sommer des ersten Coronajahrs kam zu plötzlich und war zu kurz, um das Vorhaben ordentlich in einen Urlaub einzuplanen. Aber im September 2021 sollte es so weit sein.
 
Andreas hat im Laufe der Jahre einige Ausdauersportarten aneinandergereiht. Angefangen beim Marathon, über Triathlon (Ironman) und Ultraläufen (etliche über 100km und mehr, einschließlich Zugspitz-Ultratrail (100km, >5.000Hm) und Ultra-Trail du Mont-Blanc (150km und >8.000Hm)) und achtzehn 100km-Märschen bis aktuell zu Radmarathons, bevorzugt in den Alpen.
 
Dagegen fällt meine sportliche Bilanz dürftig aus: gerade mal zwei Marathons und zwei 100km-Märsche (2018 und 2019). Allerdings bin ich „immer“ gerne und viel gewandert. Es waren tatsächlich auch anstrengende Etappenwanderungen dabei: vom westlichsten Punkt Deutschlands zum östlichsten (>1.100km) in 28 Wochenendetappen, von Nord nach Süd und zurück durch viele Mittelgebirge in Deutschland, Frankreich und der Schweiz (knapp 3.000km), vom Bodensee zum Gardasee (>30.000Hm), rund um die Schweiz (noch nicht ganz abgeschlossen, >60.000Hm), auf den Kilimanjaro.
 
Ich schreibe das nicht, um anzugeben, aber irgendwie man muss die Ruta 0.4.0 ja einordnen können. 
 
Nach etwa anderthalb Jahren „Einstimmung“ hatten wir ab Juni konkret geplant. Ich hatte mit Hilfe von Excel eine Marschtabelle erstellt. Nachdem wir Anfang Juli schon keine Erlaubnis für den Gipfel mehr bekommen hatten, mussten wir unseren Plan A aufgeben. Aber auf den Gipfel wollten wir! Die Pläne B bis D mit unterschiedlichen Startzeiten, Start- und Endpunkten haben wir aus unterschiedlichen Gründen verworfen, z.B. weil ich nicht nachts aufsteigen wollte, und uns auf Plan E verständigt. Der sah so aus: vom El Socorro bis zum Gipfel in einem „Rutsch“. Start so spät, dass wir erst nach 19:00 an der Rambleta ankommen, um ungehindert durch das Tor zu gelangen, Abstieg zum Großteil im Dunkeln. Wir hatten drei mögliche Endpunkte ins Auge gefasst: E1 = der Parkplatz unterhalb der Montaña Blanca (auf 2.350m), E2 = der Parkplatz beim Besucherzentrum El Portillo (2.030m) und (weil danach nichts Sinnvolles mehr möglich ist) E3 = El Socorro (0m).
 
Wir konnten zur Unterstützung das beste Versorgungsteam der Welt für unser Vorhaben gewinnen: unsere Ehefrauen Peggy und Irene. Ohne Unterstützung hätten wir sämtliches Wasser von Beginn an tragen müssen, denn die Hütte Alta Vista und die Seilbahnstation sind geschlossen. Doch wir konnten mit leichtem Gepäck starten. Wer auf keine Hilfe zurückgreifen kann, sollte überlegen, ob er zumindest Getränkedepots anlegt. Das ist zwar aufwendig (aber man hat ja Urlaub), es erspart aber den Transport von einigem Gewicht und verbessert so die Chancen. 
 
Es sei vorweggenommen: unser Supportteam, das S-Team, hatte einen Riesenanteil am Gelingen unserer Tour. Auf die Strecke gehen also Andreas Cordt, 57, und ich, Ernst-Wilhelm Gloerfeld, 65, nennen wir uns das W-Team, W wie Wandern. 
 
 
Unsere 0.4.0 – Die Umsetzung
 
Dienstag, 14. September 2021: Sonnenaufgang um 7:50, Sonnenuntergang um 20:12. Der Tag ist also nur 12:00 lang. Bezieht man die abendliche nautische Dämmerung mit ein, bei der man durch Gewöhnung der Augen, die Umgebung noch erkennen kann, heißt das, es bis 21:00 einigermaßen hell. Danach sieht man draußen ….? Genau: nichts! Jedenfalls nicht ohne Beleuchtung oder Stirnlampe (ein Must-have!).
 
Wir treffen uns um 8:00 am El Socorro. Da wir so früh dran sind, nehmen wir uns Zeit für die wichtigen Dinge: Begrüßung, Fotos, Selfies, gegenseitiges Mutmachen und ein letztes Sammeln. Und dann geht es los, 20 Minuten früher als geplant, es ist 8:20.
 
03 start am el socorro

Die Temperaturen liegen schon bei 23°C, es ist sonnig und etwas schwül. Der Strand ist gut besucht, der Parkplatz schon fast voll. Wir lassen den Mietwagen der Cordts dort stehen, für den Fall, dass wir den Weg bis zum El Socorro (E3) zurückschaffen. Das S-Team soll mit dem Mietwagen der Gloerfelds zu den beiden Versorgungspunkten (Camp 1 und Camp 2) fahren und sich später bereithalten, um das W-Team am Endpunkt E1 oder E2 abholen.
 
Vom Strand weg führt nur die steile Straße. Bougainvillea und andere Zierpflanzen säumen diese, aber auch Bananenplantagen sieht man hier unten. Die Straße unterquert die TF-5, die meistbefahrene Straße im Norden der Insel. Nach Wanderidylle sieht es noch nicht aus. Nach etwas mehr als 1km gelangen wir auf einen Wanderpfad. Er führt zügig bergauf und teilt sich dann. Links weiter bergauf und rechts wieder bergab? Bergab kann ja nicht richtig sein! Also nach links. Als der Pfad immer schmaler und unwegsamer wird, merkten wir, dass es mit Wünschen nicht getan ist, man muss auch aufpassen. Wir stellen fest, dass der andere Pfad lustigerweise sogar markiert ist. Die gewonnen Höhenmeter schenken wir widerwillig her und gehen zurück bis auf die Höhe der TF-5, in das Barranco del Socorro. Ab jetzt geht es aber wirklich aufwärts mit der Strecke und uns. Durch den Barrancogrund zieht sich ein grüner Steifen. Unter anderem wachsen hier Palmen. An den Hängen gibt es aber (zu dieser Jahreszeit) außer ein paar Kakteen nicht viel Grünes zu sehen. Nur allenfalls mal in den regen-„reichen“ Monaten (November bis Februar) fließt in dem Barranco (wie in den meisten anderen) das Wasser bis ins Meer, das kostbare Wasser wird in der Regel oberhalb abgefangen.
 
An den beeindruckenden Wasserverbrauch von Bananen oder Golfern, kommen wir, die schwitzenden Mitglieder des W-Teams, natürlich nicht ganz heran. Mit steigender Temperatur, Sonnenstand und jedem Höhenmeter müssen unsere Körper immer mehr kühlen, also schwitzen. So um 9:00 Uhr hat es etwa 30°C im Schatten, leider verläuft die Strecke nicht im Schatten. Und schwül ist es immer noch. Ich schwitze beim Wandern oft und nicht wenig, aber ich habe es vorher nicht erlebt, dass der Schweiß in Rinnsalen über meine Haut lief. Wir hatten vor dem Start etwas auf Vorrat getrunken, aber unsere Wasservorräte sind später im Camp 1 tatsächlich verbraucht.
 
Die Ruta 0.4.0 verläuft ab 200m Höhe durch besiedeltes, landwirtschaftliches genutztes Gebiet. Den Hauptort Los Realejos lässt man links liegen und kommt durch ein Vorörtchen, Tigaiga (auf 300m). Ein kurzes Stück gehen wir auf einer waagerecht laufenden Straße durch den Ort, fast eine Verschnaufpause. Dann geht es aber richtig steil in Richtung Hauptstraße TF-342 hoch: 200m hoch auf 1km! Da sind sie wieder unsere 20% Steigung. Vor dem letzten Haus Tigaigas waltet Frau Fegefrau ihres Amtes. Sie grüßt freundlich, wir grüßen freundlich und verschwitzt zurück. Durch die offene Haustür können wir sehen, dass hinter dem Rolltor tatsächlich ein Auto steht. Wir sind uns einig, dass keiner von uns das Auto über die steile Rampe und durch die schmale Einfahrt in die Garage bekommen hätte, jedenfalls nicht ohne erhebliche Kollateralschäden an Fahrzeug und Tor anzurichten. Hut ab, Frau Fegefrau!
 
Hoch über der TF-342 hängen vier Kletterer in den Seilen. Das ist allerdings kein vergnügliches Abseiling, sondern die Herren befreien in harter Arbeit die Felsen von lockerem Material, das sie auf die Straße fallen lassen, bevor es von allein dort landet. Die TF-342 ist gesperrt und wir befürchten, dass das S-Team vielleicht durch einen erzwungenen langen Umweg erst nach uns das Camp 1 erreichen könnte. Als wir näherkommen, sehen wir jedoch, dass die Straße zwar tatsächlich in beiden Richtungen gesperrt ist, dass aber die Fahrzeuge für jeweils kurze Zeit wechselseitig durchgelassen werden. Camp 1 wird also besetzt sein. 
 
04 500 m 

Ab ca. 500m Höhe ist es ringsherum recht grün. Hier reichen offensichtlich Niederschlag und Feuchtigkeit auch ohne Bewässerung für eine (teils anspruchslose) Vegetation aus. Die terrassierten Felder werden natürlich bewässert. Sie sind aus unserer Sicht sehr klein und große Maschinen können dort nicht eingesetzt werden. Die Landwirtschaft ist hier sicher noch mühseliger als an anderen Orten. Angebaut wird Getreide, Mais, Wein u.a.m.
 
Da wir keine Markierung mehr sehen, verlassen wir die Hauptstraße, um auf den Track zu gelangen, den unsere beiden Navigationsapps (Komet und Locus) links oberhalb der Straße anzeigen. Ganz falsch kann der Pfad nicht sein, er führt ja bergauf. Die 0.4.0 aber folgt tatsächlich der Straße. So gleichen wir die unten gemachten Zusatzmeter aus. Schon nach 300m treffen wir im Ort wieder auf die 0.4.0. Der Ort, besser das Örtchen, heißt Lomo de los Ajos und hängt auch am Hang. Steile enge Sträßchen, zum Teil verlassene Häuser, ein typisches Bild. Immer mal wieder haben wir freien Blick auf den Teide, dem wir uns langsam nähern. 
 
Dass man die 0.4.0 an der Hauptstraße entlangführt und nicht auf unserem schönen Pfad, geht gerade noch. Aber wie kann man auf die Idee kommen, die Strecke westlich an den Sendemasten herumzuführen und nicht östlich über den Mirador de la Corona? Von dort hat man wirklich einen tollen Ausblick auf das Meer, das Barranco, Los Realejos mit seinen Vorörtchen und den Teide. Wir bemerkten das leider zu spät. Der Ausblick vom knapp oberhalb gelegenen Treffpunkt (= Camp 1) ist okay, aber nicht vergleichbar mit dem verpassten. Wir trösten uns: ich war 2020 ja schon am Mirador und Andreas kann sich ja die Panoramaaufnahmen des S-Teams ansehen. Übrigens stellt der schönere Weg in keiner Weise einen Umweg dar. So oder so sind es nur 200m, dann treffen sich die beiden Varianten wieder. Apropos „La Corona“, da war doch noch was? Nein, der Name ist nicht neu und nicht zu Ehren des unsäglichen Virus gewählt, sondern bezeichnet den Felsen, der sich wie eine Krone über dem Barranco erhebt.
 
Wir sind 20 Minuten vor der Zeit unserer Marschtabelle im Camp 1 angekommen, weil wir statt der vorsichtig gerechneten 400 Höhenmeter pro Stunde 490Hm/h geschafft haben. Ich hatte meinen Puls unterwegs einige Male mit meiner Garmin Fenix 6 kontrolliert und war sicher, dass ich mich nicht unnötig angestrengt hatte. Für Andreas, in Fachkreisen als Anderl „Heckmaier“ Cordt oder als der „Schleifer“ (besonders am Berg) bekannt, kann ich es auch annehmen. Unsere Frauen versorgen uns mit Getränken und guten Wünschen und so können wir nach einer kleinen Pause von 8 Minuten weiterziehen.
 
05 el asomadero

Etwas oberhalb von Lomo de los Ajos endet die landwirtschaftlich genutzte Zone und der Wald beginnt. Es gibt bis zum Refugio kein einziges Haus mehr. Bei 1.080m erwartet uns der Mirador „El Asomadero“ und wir werden für die verpasste Aussicht von „La Corona“ entschädigt. Etwas weniger Meer und etwas mehr Teide. Superschön! 10:30. Weiter geht’s. Nur noch 2.635Hm!
 
Die 0.4.0 führt nun in den Naturparks „Corona Forestal”, abwechselnd auf Singletrails und Forstwegen. So ist das schön, sehr abwechslungsreich. Wir sind im Baumheide-Buschwald, der in Höhen von 1.000 bis 1.500 vorkommt. Die spanische Bezeichnung „Fayal-Brezal“ ist abgeleitet von den Namen „Faya“ (Myrica faya, Makronesischer Gagelbaum) und „Brezo“ (Erika arborea, Baum-Heide). Beide Arten erreichen eine Höhe von über 10 m, an besonders guten Standorten sogar bis 20 m. Baumheide-Buschwald tritt als Degradations- bzw. Ersatzgesellschaft dort auf, wo der ursprüngliche Lorbeerwald abgeholzt oder anderweitig zerstört wurde. Was auf Teneriffa bis auf kleine Restbestände der Fall ist. Die Baumheide ist übrigens eine Verwandte unser kleinen Erika. 
 
06 fayal brezal

Gegen 11:00 Uhr erreichen wir auf ca. 1.300m die ersten Wolken. Sie werden uns jetzt bis kurz vor das Camp 2 begleiten. Der Wald ändert sein Gesicht. Zuerst gibt es vereinzelt, bald ausschließlich Kiefern (Pinien). Die Kanaren-Kiefer ist ein robuster Baum, der selbst in bodenarmen Felsschluchten Fuß fassen kann. Sie übersteht auch Sommerbrände gut und kann wieder aus dem Stamm austreiben. Mit ihren langen Nadeln kämmt sie Wasser aus den Wolken und lässt es zu Boden fallen. Dabei gibt sie dem Boden mehr als sie selbst verbraucht, was dem gesamten Ökosystem zugutekommt. Die nicht mit Bäumen bestückten Standorte bleiben dagegen trocken. Zudem verhindert ihr dichtes Wurzelwerk Bodenerosion. Daher ist der Schutz der Wälder von immenser Bedeutung.
 
Nach 3 Stunden, um 11:20, machen wir eine kurze Pause. Es ist frisch geworden. Dafür sorgen die Wolken und die hohe Luftfeuchtigkeit und auch die Höhe von ca. 1.450m macht sich bemerkbar. Wir bleiben nicht lange stehen, nass geschwitzt wie wir sind. Nach links geht es steil ins 500m tiefergelegene Barranco de la Calera hinab. 

08 nebel sonne

An seinem Hang stauen sich die Wolken, nach rechts hin lösen sie sich auf. Unser Weg und das Barranco verlaufen bis zur Grenze des Nationalparks auf 2.000m Höhe nahezu parallel. So haben wir das (wahrscheinlich seltene) Glück, nach links in einen nebeligen Zauberwald zu blicken und nach rechts in einen strahlend blauen Himmel, vor dem, wenn der Wald mal licht ist, sich der Teide aufbaut. Im Zauberwald hängen oft Moose von den Ästen der Kiefern herab und lassen diesen mystisch anmuten. Manchmal hüllen uns die Nebelschaden ganz ein, manchmal weichen sie nach links zurück. Carpe diem!
 
 
Rechts vom schmalen Pfad verläuft ein Forstweg, gelegentlich treffen beide aufeinander. Natürlich ist unser Pfad viel schöner. Man läuft über einen Teppich aus Kiefernnadeln, fleißige Hände haben links und rechts Steine aufgereiht, verlaufen kann man sich hier nicht. Wenn man ein Stück auf den Forstwegen laufen muss, staubt es bei jedem Schritt auf. 
 
Nach 4 Stunden, um 12:20, feiern wir unser Bergfest. Wir haben mit 1.900 Meter gut 50% der Höhe geschafft, allerdings mit knapp 13km, noch nicht ganz die Hälfte der Strecke bis zum Gipfel. Das trübt die Freude nicht, denn die Steigung ist nun moderat geworden. Die Kiefern sind fast völlig verschwunden, je nach Geländebeschaffenheit sieht man links oder rechts noch welche, dort wo der Wind die Wolken gelegentlich an die Hänge drückt. Doch die Waldgrenze der Insel ist so gut wie erreicht. 
 
Wir erreichen den Nationalpark. Die Vegetation ist spärlich, aber hier müssen die Pflanzen mit wenig oder fast ganz ohne Regen auskommen. Der Teideginster (Cytisus supranubius) herrscht vor. Einige wenige Blüten anderer Pflanzen sieht man noch, die meisten sind verblüht. Auch die Königin gönnt sich eine Auszeit. Davon zeugen vereinzelte verdorrte Gerippe des Wildprets Natternkopfs. Ihr deutsche Name dieser endemischen Pflanze ist … naja, ihr spanischer klingt schon eindrucksvoller: Tajinaste Rojo. Aber ihr englischer Name „Tower of Jewels“ lässt ahnen, wie prächtig sie ist. Der „Turm der Juwelen“ ist die Charakterpflanze schlechthin im Teide-Nationalpark. Sie wird zwischen 1,5 und 3m hoch und trägt im Frühjahr unzählige Einzelblüten in Rosarot bis Violett. Sehr schade, dass es September ist.
 
09 degollada del credo

Der Teide thront nun frei sichtbar über allem. Das ist schon noch ein Klotz! An einer Wegekreuzung, der Degollada del Credo erleben wir eine Enttäuschung (mein Spanisch ist schlecht, eigentlich gar nicht existent, aber das hat was mit Abschlachten oder Schafott und Glauben zu tun). Wir wollen es nicht glauben, doch es geht abwärts. Es sind nur 40m und so leicht schlachtet man uns nicht. Wir überholen ein wanderndes Pärchen und gehen mit ziemlich Tempo in den Gegenhang. Fast gleichzeitig gestehen wir uns, dass unsere Muskeln von dem Manöver nicht besonders begeistert sind. Es wird Zeit für eine Pause im Camp 2, Wasser und Salz aufnehmen.
 
Unsere Frauen erwarten uns an der Kreuzung bei El Cabezón (2.070m). Diese liegt ungefähr 3km vom Besucherzentrum El Portillo (2.030m) entfernt. Das liegt westlich vom Teide und wird von Touristen gerne als Ausgangspunkt für Wanderungen auf dem flachen Grund der Caldera, Las Cañadas genannt, benutzt. Es ist 13:00. Wir sind eine Stunde vor der Marschtabelle. Die Pause haben wir uns also verdient. Das Wetter ist ein Traum: wolkenloser Himmel über uns, die Temperatur (im Schatten) etwas über 20°C. Besser geht es nicht. Das S-Team hat ganze Arbeit geleistet und alles Aufgetragene herbeigetragen.
 
10 camp 2

Minimalist Andreas hat seine Peggy allerdings nicht sonderlich gefordert. Die mitgebrachten warmen Kleidungsstücke (lange Hose, Mütze, Handschuhe usw.) lehnt er sogar noch ab. Er will Gewicht sparen. Außerdem hat er sich gestern auf bergfex.de den Wetterbericht für den Teide angesehen. Um 19:00 sollen auf dem noch Gipfel 5°C herrschen und (Zitat) „schwacher gegen Abend abnehmender Wind“. Das hält ein Schleifer auch in kurzer Hose aus. Er packt viel Wasser und nur etwas Verpflegung in seinen Rucksack. Andreas schwört übrigens auf Energieriegel und -gels. Bei extrem langen Belastungen vertrage sein Magen das am besten.
 
Bei mir steht das Gewichtsparen erst an zweiter Stelle, kein Risiko eingehen an erster. Es darf auch schon mal ein Netz und ein doppelter Boden sein. Meine arme Frau hatte an ihrem Rucksack schwer zu schleppen. Die lange Hose ziehe ich gleich an, verwandele sie aber durch Abzippen der Beine sogleich wieder in eine kurze. Die anderen warme Sachen (dicke Mütze, Handschuhe, Weste, Windjacke u.a.m.) packe ich ein. Die leichten Trailrunningschuhe werden gegen die schweren Bergstiefel getauscht (ich habe mir am Teidegipfel schon einmal einen Fuß verstaucht, das brauche ich nicht noch einmal). Viel Wasser ist selbst verständlich. Nun noch die Sachen aus dem grauen Beutel, zum Beispiel weitere Lebensmittel. Ich bin da nicht so wählerisch wie Andreas. Hauptsache Kohlenhydrate! Eiweiß und Fette sind schwer verdaulich, die lasse ich weg. Aber ich brauche so viel Abwechslung wie möglich: für den Anfang Brot, dann Kekse, Marzipan und zum Schluss hochkonzentrierte Energiedrinks, mit kurz- und mittelkettigen Kohlenhydraten. „Schatzi, wo ist eigentlich der graue Beutel?“ Ich leere den Rucksack komplett, das Gesicht meiner Frau sagt, dass sie keine Scherze mit mir treibt. Schließlich die Erkenntnis, der graue Beutel ist unerreichbar weit weg. Gut, auf die Lebensmittel kann ich verzichten. Das was ich in meinem Rucksack habe reicht schon. Die Powerbank werde ich wahrscheinlich nicht brauchen, um das Handy oder die beiden Pocketkameras aufzuladen. Die Akkus halten bestimmt durch, hoffentlich. Aber die beiden Stirnlampen? Die zweite war zwar nur als Reserve gedacht, wenn die erste ausfällt, also auch verzichtbar. Aber die erste, die hätte ich doch zu gerne... In einer offenen Abstimmung wird mit Dreiviertelmehrheit entschieden, dass ich für das Fehlen des grauen Beutels verantwortlich bin. Es wird sich herausstellen, dass das den Tatsachen entspricht. Zu meiner Ehrenrettung muss ich sagen, dass graue Beutel tatsächlich im Rucksack war (genauer: gewesen war). In der vor Aufregung so gut wie schlaflosen Nacht war mir eingefallen, dass ich noch die Ladekabel in den grauen Beutel packen musste. Das hatte ich auch umgehend gemacht. Den grauen Beutel hatte ich aber nicht wieder in den Rucksack gesteckt, sondern auf das graue Sofa gelegt und so morgens im Ferienhaus vergessen. So ein …! 
 
 Da wir nicht vor 19:00 Uhr durch das Tor können, machen wir eine knappe Stunde Pause. Wir deponieren noch einige Liter Wasser in einem Versteck, um für den Weg zum El Socorro noch etwas nachfassen zu können. Pünktlich um kurz vor 14:00 verabschieden wir uns von unseren Frauen. Mit nur einer Stirnlampe im Gepäck. Anderl leuchte mir heim!

11 caldera

12 teideeier

Auf den nächsten 5km gewinnt man nur 500m Höhe. Anfänglich geht es ärgerlicherweise gelegentlich sogar mal etwas bergab, aber eigentlich ist das ein sehr angenehmer Teil der 0.4.0. Vereinzelt treibt der stärker werdende Wind Wolken auf den Teide zu. Es wird frisch, ich ziehe vorübergehend eine Windjacke an. Ab etwa 2.400m Höhe sieht man nur noch vereinzelte Pflanzen, stellenweise könnte es auf dem Mond auch so aussehen. Wir sind beindruckt von den Huevos del Teide, wörtlich Teideeiern. Das sind schwarze, mehr oder weniger runde Lavabrocken, von denen manche mehrere Meter im Durchmesser groß sind. Vereinzelt liegen noch welche einige Hundert Meter von dem oberhalb zum Stillstand gekommenen Lavastrom entfernt herum, sie sehen auf dem brauen Boden wie Fremdkörper aus. 
 
Wir erreichen El Portillo. Nein, wir haben uns nicht verlaufen, denn wir sind nicht am Besucherzentrum, sondern an der Kreuzung El Portillo (deutsch: Durchschlupf, Engpass) auf 2.530m. Das Besucherzentrum liegt jetzt genau östlich von uns, aber deutlich tiefer. Ein weiterer Weg führt in südlicher Richtung zum Parkplatz unterhalb des Montaña Blanca. Hier wäre unserer erstmöglicher Endpunkt E1. 
 
Um 15:50 erreichen wir auf 2.700m den Fuß des anspruchsvollsten Teils des Aufstiegs. Wir liegen immer noch 20 Minuten vor unser Marschtabelle, trotz der längeren Pausen. Vielleicht ist das ganz gut, denn jetzt geht es zum Refugio Alta Vista (3.267m). In der Ebene gemessen sind ca. 1.100m, nach oben 567, also etwa 50% Steigung. Der Pfad führt zum Glück in vielen Windungen nach oben, die Strecke ist 2,4km lang. Also halb so wild. Aber dass die Hütte nicht sichtbar ist, das motiviert nicht wirklich! Doch wir müssen hinauf. An der Kreuzung treffen wir ein junges Paar aus Hamm. Wir sprechen über dies und jenes, natürlich auch darüber, dass wir schon 2.700m aufgestiegen sind aber noch 1.000m vor uns haben. Anerkennend bemerken sie: „Wir hatten uns schon gefragt, wie viele Höhenmeter man an einem Tag schaffen kann.“ Ja, wir uns auch. Sie erzählen uns, dass die Seilbahn heute nicht fährt, es ist zu windig! Das ist nun ärgerlich, da hätten wir glatt noch früher starten können, und die Pause in Camp 2 hätte auch kürzer ausfallen können. Hätte, hätte, Fahrradkette. Aber es ist, wie es ist.
 
Andreas geht wie meistens voran. Das liegt auch daran, dass ich durch das Fotografieren immer mal wieder stehen bleibe, so kommen im Laufe der Tour etwa 150 Aufnahmen zusammen. Unser Ist-Tempo liegt am Berg schleifertypisch immer oberhalb der angesetzten Werte der Marschtabelle. Aber mein Puls meint: alles ist gut. Wie erwähnt ist die Beschilderung hervorragend, aber Schilder braucht man jetzt gar nicht mehr. Es führt nur ein Weg nach oben, aber bessere Markierungen wären nicht schlecht. Was heißt bessere? Es gibt gar keine. Das kennt man aus den Alpen anders. Natürlich wurde auch dieser Weg angelegt und er ist meist gut zu erkennen. Meist heißt aber im Umkehrschluss, dass er mitunter nicht zu erkennen ist. Die Verzweigungen zeigen, dass viele vor uns sich an diesen Stellen selbst Wege gesucht haben. Im Hellen kann sich zwar nicht wirklich verlaufen, denn man findet auf den Pfad zurück. Aber man muss sich schon konzentrieren. Im Dunkeln wird das bestimmt lustig.
 
Ich merke, dass Andreas kämpfen muss. Also gehe ich voran, um ihn zu entlasten. Leider funktioniert das nicht. Im Gegenteil, ich gehe zu schnell. Nach 15 Minuten haben wir 125 Höhenmeter gemacht, das wären 500 statt der angepeilten 350Hm/h geworden. Also lasse ich Andreas wieder vorausgehen. An dieser Stelle muss es mal gesagt werden: mein jugendlicher Freund ist neulich mal eben in einer Wochenendhardcoreaktion in die Schweizer Berge gefahren und hat dort vor genau 10 Tagen den Alpen Brevet absolviert. Dabei ist er mit dem Rad über 100km gefahren, hat drei hohe Pässe überquert und über 3.000 Höhenmeter gemacht, in unter 8:00 Stunden. Ich glaube, nicht mal er wundert sich, dass ihm das jetzt hier schwerfällt. Man braucht in unserem Alter einfach längere Erholungsphasen. Meine letzte und einzige richtig harte Aktion in diesem Jahr (ein Walking über 83km in 12:30 mit knapp unter 1.000Hm) war vor über 10 Wochen, die habe ich mittlerweile „verdaut“. 
 
Wir treffen ein österreichisch-schweizerisches Paar, mit dem wir ein wenig plaudern. Einige andere meist muffelig dreinblickende Leute (Deutsche und Spanier) kommen uns entgegen. Eigentlich sollte man doch Spaß haben beim Wandern, das ist doch der Sinn der Sache, oder? Sei’s drum. Der Spaß ist uns jedenfalls noch nicht vergangen, auch nicht bei über 3.000m. Alle, die heute auf dem Teide waren, haben den Aufstieg mindestens am Parkplatz Montaña Blanca auf 2.350m begonnen oder am Besucherzentrum. Es gibt auch Wege auf der Süd- und der Westseite, alle beginnen oder kreuzen die TF-21, die einzige Straße auf der Caldera. Doch ohne Seilbahn sind Auf- und Abstieg von je 1.365m die Mindestleistungen für das Gipfelerlebnis.
 
Um 17:25 kommen wir unvermittelt an der Hütte an. Man sieht sie erst ein, zwei Serpentinen bevor man sie erreicht. Andreas steuert die erste Bank am Refugio an mit einem für ihn höchst ungewöhnlichem Satz: „Ich brauche eine Pause!“ Der Wind bläst heftig, es ist ziemlich kalt. Ich suche ein windgeschütztes Plätzchen, finde keines, aber wenigstens ein sonniges. Andreas schlägt meine Einladung aus, in die Sonne zu kommen. Bei mir wird es Zeit für „schwereres Gerät“: angezippte Hosenbeine, Weste, Handschuhe, dicke Mütze. Der Schleifer bleibt bei seiner kurzen Hose. Zwei junge Männer mit viel Gepäck kommen an. Es sieht so aus, als ob sie hier übernachten wollen, um dann zum Sonnenaufgang auf dem Gipfel zu sein. Sie sind nicht überrascht, dass die Hütte geschlossen ist. Der Windfang scheint ihnen geeignet für eine lauschige Nacht. Nach einer 20-minütigen Rast sieht Andreas wieder deutlich besser aus. Erstaunlich wie schnell er sich erholt hat. Die Karawane kann weiterziehen. 

15 alta vista

Bis zur Rambleta sind es nur noch 288Hm. Der Weg ist gut ausgebaut, ein Wander-Highway. Man sieht daran, dass zwischen der Bergstation und der Alta Vista sowie dem benachbarten Mirador de la Fortaleza ein reger Wanderbetrieb herrscht. Wir erreichen die Rambleta um 18:30. Andreas schlägt vor, den Tag am Endpunkt E1 zu beenden. Ich spüre zwar die Anstrengung, aber eigentlich geht es mir noch ziemlich gut. Ich muss lediglich selbst meine geliebten Marzipanriegel mit viel Wasser herunterspülen. Speichel produziert der Körper also kaum noch. Ich überschlage kurz, wieviel Kalorien ich noch bis zum El Socorro herunterspülen müsste und schließe ich mich vernünftigerweise und ohne weitere Diskussion Andreas Vorschlag an. Da hier gerade ein gutes Mobilfunksignal vorhanden ist, schickt Andreas seiner Frau eine WhatsApp-Sprachnachricht: das W-Team möchte am Endpunkt E1 abgeholt werden. Wegen des starken Windes empfangen die Frauen allerdings nur ein Rauschen und ein paar unverständliche Wortfetzen. 
 
Andreas hat eingesehen, dass bergfex.de ihn schlecht informiert hat: 5°C könnte es in der Sonne gerade noch sein, aber wenn das ein schwacher Wind sein soll, möchte ich keinen starken erleben. Er setzt sich ein zweites Stirnband auf und zieht seine Windjacke an. Meine winddichte lange Reservehose lehnt er in der für ihn typischen Weise ab. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich und der Himmel ist ja nur noch 160Hm entfernt. Das Tor ist offen, der Gipfel ruft. Der Weg zum Gipfel ist ebenfalls sehr gut ausgebaut. Manchmal haben wir das Gefühl, dass uns die Windböen umwerfen könnten. Wir gehen langsam und vorsichtig. Auf den letzten 50Hm legen wir die Wanderstöcke weg und stützen uns oft mit den Händen ab. 

16 gipel 01

Um 19:10 kommen wir auf dem Gipfel an. Lachend umarmen wir uns. Das ist Glück. Ein tolles Gefühl. Wir brauchen einen Moment, bevor wir etwas sagen können, naja das „Sagen“ ist doch eher ein „Rufen“ oder „Schreien“. Der Wind macht uns die Kommunikation nicht leicht. 
 
Das trübt die Freude nicht. Die Aussicht ist einfach nur grandios: Wir blicken auf die Caldera tief unter uns, die weiter untenliegenden Teile Teneriffas sind unter weißen Wolken verborgen. Ringsherum das Meer ist weitgehend wolkenfrei. Die Sonne steht noch ein Stück über dem Horizont, aber bald wird sie ziemlich genau im Westen im Meer versinken. Ein wenig nördlich davon liegt La Palma, etwa 120km entfernt. Wir können die Insel gut erkennen, nur die Höhen der (mittlerweile berühmten) Cumbre Vieja im Süden sind von Wolken bedeckt. Dort auf der abgewandten Westseite wird in 5 Tagen der Vulkan ausbrechen. La Gomera liegt ein Stück weiter südlich. Über der Insel ab ca. 1.200m Höhe haben sich viele Wolken gebildet, aber die Küste ist gut zu sehen. El Hierro dahinter liegend ist aber nur an den Wolken zu erkennen. Die drei östlich gelegen Inseln können wir leider nicht sehen. Es ist zu wolkig über Gran Canaria und zu diesig, um die noch weiter entfernt liegenden Inseln Lanzarote und Fuerteventura sehen zu können.

17 gipfel 02

Wir versuchen uns die Eindrücke einzuprägen. Natürlich mache ich Bilder und Videoaufnahmen. Wozu schleppt man sonst zwei Kameras hoch? Nach 10 Minuten reißen wir uns los. Es ist kalt genug. Der starke Wind sorgt für gefühlte Minustemperaturen. Außerdem möchten wir so viele Meter wie möglich noch im Hellen absteigen. 
 
Auf dem Abstieg kommen uns noch drei Sonnenuntergangsbeobachter entgegen. Zuerst ein Solowanderer dann ein französisches Pärchen. Mit ihnen sprechen wir ein wenig über die 0.4.0. Der junge Mann kennt die Strecke. Als wir unsere Aufstiegszeit erwähnen, reibt er uns netterweise den Streckenrekord für Trailrunner unter die Nase. Er ist zwar angezogen wie ein solcher, was er selbst draufhat, erfahren wir leider nicht. Von einer windgeschützten Stelle an der Rambleta aus rufe ich meine Frau an und bestätige unseren Abholwunsch: E1 um 22:00. 

19 schatten

Der Weg wendet sich nach Osten, so können wir den berühmten Schatten des Teide sehen. Zuerst liegt er noch auf der Insel, schnell länger werdend schiebt er sich weit auf die Wolkendecke (und das für uns unsichtbare Meer) hinaus. Die Ränder der Caldera leuchten für kurze Zeit glutrot. Wir erreichen Alta Vista. Im Windfang rührt sich niemand mehr. 
 
Dann ist es dunkel. Es ist 21:00. Mit nur einer Stirnlampe ist der Weg doch nicht so lustig. Um ehrlich zu sein, diese Passage im Dunkeln ist der schwierigste und anstrengendste Teil unserer Tour. In der Nacht sind alle Katzen grau und alle grauen Felsen erst recht. Es ist sternenklar, aber der Mond ist nur eine schmale Sichel. Man kann ohne Lampe am Boden praktisch nichts erkennen. Wir probieren aus, was mit einer Stirnlampe die beste Methode ist. Schleifer Andreas geht wieder voraus und schleift mich mit. Ich folge so nah, dass ich ahnen kann, wohin ich treten muss. Denn sehen kann ich nicht, wo ich auftrete, weil der Lichtkegel dann schon wieder weg ist. Pfadfinder Andreas muss sich extrem konzentrieren, um einigermaßen auf dem Pfad zu bleiben.
 
Es bleibt nicht aus, dass er dabei auch mal (für mich überraschend) abstoppen muss. Um ihm nicht in die Hacken zu treten, muss ich den Fuß dann seitlich aufsetzen. Das geht einige Male gut und einmal schief, weil dort nichts zum Aufsetzen ist. Ich trete ins Leere und falle nach rechts den Hang hinunter. Zum Glück nicht tief und zum Glück in einen Busch (zwar weniger als einen halben Meter hoch, aber vermutlich der einzige weit und breit!), zum Glück schlage ich mit der Stirn auf einem Stein auf und nicht mit der Brille und zum Glück habe ich die Mütze auf. Deren im Stirnbereich vierfach geschlagenes Fleece verhindert Schlimmeres als die Ein-Euro-Stück große blutende Wunde. Da es im Nacken übel geknackt hat, überlege ich eine Weile, was ich eigentlich abbekommen habe. Andreas, dem die Weile sehr lang erscheint, fragt besorgt, ob ich aufstehen kann. Ja, kann ich. Außer meinem Kopf tut auch nichts weh. Die Schnittwunde am Bein, die mir der Busch als Gegenleistung für meinen Reinfall verpasst hat, bemerke ich erst am nächsten Tag. Die Kopfschmerzen vergehen im Laufe des nächsten Tages. Alles in Allem: Glück gehabt. 
 
Kurze Zeit später rutscht Andreas auf einen Stein aus und schlägt auf dem Rücken auf. Der Rucksack bremst den Aufprall ein wenig ab. Ich mache ein paar Bilder, auf denen nur leuchtende Linien von Andreas Stirnlampe zu sehen sind. Ich hätte gerne noch ein wenig experimentiert, aber der Schleifer besteht (vernünftigerweise) aufs Weitergehen. Um 21:50 haben wir den Fuß des Steilhangs erreicht. Andreas lässt sich mit einem „Ich bin fertig!“ auf einem Stein nieder. Das kenne ich gar nicht von ihm: Genusspausen machen. Nein, im Ernst es ist tatsächlich gut, dass wir nur noch bis zum Parkplatz müssen. Wir haben bergab nur 376Hm/h geschafft, bergauf waren es immerhin 346 gewesen. Im Hang oberhalb uns sehen wir eine Stirnlampe. Das wird der Solowanderer sein, oder Monsieur Trailrunner hat auch seine Stirnlampe vergessen.
 
Nach einer Pause von knapp 10 Minuten geht es weiter auf die letzten 4,5km. Wir sind auf einem Fahrweg, der oft breit und eben genug ist, um nebeneinander zu gehen. Die Frauen warten schon seit mindestens 22:00. Sicherheitshalber machen wir uns auf eine Gardinenpredigt gefasst und gehen so schnell wir können, aber wir kommen erst um kurz vor 23:00 am Parkplatz an. Unsere Frauen sind durchgefroren, aber einfach nur happy, dass wir unversehrt (naja fast unversehrt) da sind. Sie freuen sich mit uns, dass wir unser Vorhaben umgesetzt haben, den Teide vom Meer aus an einem Tag zu besteigen. 
 
Irene, die den ganzen Tag schon die Chauffeurin gemacht hat, fährt uns sicher zum El Socorro. Genauer gesagt, bis kurz davor, denn eine Schranke versperrt den Weg. Es ist genau 0:00 Uhr. Auf einem Schild wird erklärt, dass der Strand nur von 6:00 bis 22.00 Uhr geöffnet ist. Klar, das Schild haben wir am Morgen glatt übersehen, aber auf den Webseiten über den 0.4.0 findet man rein gar nichts über die Sperrung. Sie gilt für Fahrzeuge und Fußgänger. Nun sind wir erst recht froh, dass wir nicht bis hierher gelaufen sind. Optimistisch geschätzt wären wir etwa zwischen 3:00 und 4:00 Uhr angekommen. Wir hätten entweder bis 6:00 baden können (was ja verboten gewesen wäre) oder unser S-Team zu Hilfe rufen müssen. Aber bis dahin, wäre auch noch knapp eine Stunde vergangen. Anderl und ich sind beide fertig genug, um uns nichts dergleichen zu wünschen.
 
Um kurz vor 1:00 sind wir daheim. Andreas und Peggy übernachten bei uns. Wir frühstücken am nächsten Morgen zusammen und feiern mit einem Gläschen Sekt unseren Aufstieg vom Meer bis zum Himmel an einen Tag. Unser Ausblick vom Haus aus ist großartig: vom Meer bis zum Teide!

20 blick auf teide

Später holen wir noch den Mietwagen der Cordts und die deponierten Flaschen aus Camp 2. Dann ist das Unternehmen Ruta 0.4.0 für uns abgeschlossen.
 
 
 
 

Fazit
 
Ich möchte es ausdrücklich betonen: Ich bin ein großer Fan der Ruta 0.4.0! Der Weg sucht tatsächlich seinesgleichen. Die Landschaft ist großartig, die Streckenführung ist super, die Beschilderung ist einwandfrei, die Markierung auch (bis auf die eine wichtige Ausnahme unterhalb der Alta Vista), die nicht bzw. kaum vorhandenen Einkehrmöglichkeiten sind hinnehmbar. Man wird auch in den Alpen schwerlich etwas Vergleichbares finden. Mir fällt auf Anhieb nur der Aufstieg von Chamonix auf den Mont Blanc ein: von 995m auf 4.810m, also +3.815m. Diese Tour ist sicher noch ungleich schwieriger und als gefährlicher anzusehen. Nicht wegen der paar Höhenmeter mehr, sondern wegen der größeren Höhe, des Schnees in den Hochlagen, der möglichen gefährlichen Wetterumschwünge usw. Aber ich bin kein Bergsteiger und will mich dort gar nicht versuchen. Also zurück zum Teide.
 
Und zur Ruta 0.4.0 und besonders zu deren Vermarktung. Die offiziellen Informationen über die Schwierigkeiten und auch Gefahren sind mehr als dürftig! Gerade junge, fitte Leute werden sich von der sehr sportlichen Herausforderung angezogen fühlen. Wer aber unbekümmert (ggf. mit zu wenig Erfahrung) auf die Strecke geht, läuft die Gefahr, schlimm zu scheitern. Wer bis an seine Grenze geht, merkt möglicherweise zu spät, dass er diese schon überschritten hat. Wenn das ohne gesundheitliche Schäden abgeht, kann man von Glück sprechen. Eine bessere, sprich warnende Information auf den offiziellen Webseiten und Prospekten wäre m.E. nach absolut notwendig.
 
Wenn man die Ruta 0.4.0 ohne Risiko für die Gesundheit bewältigen will, muss man sie als das nehmen, was sie ist: eine Herausforderung. Ob man es schafft oder nicht, wird zuallererst in Kopf entschieden. Man muss es schaffen wollen! Aber der Wille allein reicht natürlich nicht. Man muss die Anforderungen der 0.4.0 analysieren und abwägen, ob man sie sich zutrauen kann. Spitzenkönner (im Bereich Wandern) oder Extrembergsteiger schaffen die 0.4.0 sicher und werden über meine Worte wahrscheinlich nur schmunzeln. Otto-Normal-Wanderer schafft sie ebenso sicher nicht und wird es auch nicht versuchen. Ich möchte diejenigen ansprechen und warnen, die weder das eine noch das andere sind.
 
Wer die Ruta 0.4.0 angeht, sollte in weniger einsamen Regionen seine Grenzen ausgetestet haben. Der Teide ist für ein Premierenerlebnis nicht der richtige Ort! Wenn man entsprechende positive Erfahrungen mit langen Ausdauerleistungen gemacht hat, kann man die Herausforderung annehmen. Einen Vergleich mit einem der immer beliebter werdenden 100km-Märsche braucht die 0.4.0 so wie wir sie gemacht haben nicht zu scheuen. Wenn man rauf und ganz runter will, darf man gerne die uns fehlenden 20km hinzurechnen. Eine akribische Vorbereitung und gute Verpflegung sind ebenfalls unabdingbare Voraussetzungen. Auch Erfahrungen mit der Höhe sollte man gemacht haben. Dazu muss man nicht von Meereshöhe aus aufsteigen (das geht ja auch sonst fast nirgendwo), aber zwischen 2.000 und 3.000m Höhe (besser noch höher) sollte man sich schon mal ernsthaft getestet haben. Und schließlich gehört noch eine Exitstrategie dazu: Wo kann ich im Falle eines Falles aussteigen? Wie komme ich zurück? 
 
Wegen des limitierten Zugangs zum Gipfel sind neben den Tageslichtzeiten auch die Öffnungszeiten der Seilbahn zu beachten. Wir haben für den Aufstieg (im Hellen) 9:20 Stunden benötigt plus 1:30 für Pausen. Unser Tempo bis 2.000m war etwa 450Hm/h, auf dem flacheren Abschnitt bis 2.700m etwa 400Hm/h und danach ca. 350Hm/h. Ein Wanderer, der einen 100km-Marsch mit bis zu 1.000Hm in 16 Stunden absolvieren kann und die Höhe gut verträgt, sollte etwa mit so einer Aufstiegszeit rechnen. Für den Abstieg vom Gipfel bis zum Parkplatz unterhalb der Montaña Blanca sind (im Dunkeln) ca. 3:30 anzusetzen, bis zum El Socorro (im Dunkeln) 7:00 jeweils plus Pausen. So ein Wanderer könnte die 0.4.0 rauf und runter in 19 bis 20 Stunden schaffen.
 
Die Ruta 0.4.0 ist sehr, sehr schön, aber sie könnte gefährlich sein! Die Herausforderung anzunehmen, lohnt sich, aber mit Bedacht und Vorsicht! Wer das nicht will, dem kann ich die Ruta 0.4.0 trotzdem wärmstens empfehlen: als Etappenwanderung! In 2 oder 3 Tagen kommt man auch vom Meer bis zum Himmel!


Ein Bericht von Herr Gloerfeld